

George Edward “Toby” Charles
*1937
Die Stimme des deutschen Fußballs in Übersee
Der gebürtige Waliser und passionierte Rugbyspieler zog in den frühen 1960er-Jahren nach Köln. Über einen Umweg als Gymnasiallehrer für Englisch und Sport wurde er dank seiner Sendung „Soccer Made in Germany“ für viele zum transatlantischen Sprachrohr des deutschen Fußballs.
Kurzbiografie
- Geboren 1937 in Monmouthshire, Wales, Vereinigtes Königreich
- 1950-1960 Usk Rugby and Cricket Clubs, Wales, Vereinigtes Königreich
- 1950er-Jahre Studium Sport (Hauptfach), Englisch und Geschichte (Nebenfächer) am St. Luke’s College in Exeter, England.
- 1961-1966 Mitglied im Cologne Social and Sports Club (Cricket)
- 1961-2018 Mitglied der Rugby-Abteilung des ASV Köln (davon 1961-1968 als aktiver Spieler)
- 1962 Einstieg in die Medienwelt als Radioreporter für das englischsprachige Programm der Deutschen Welle
- 1962-2008 Freie Reportertätigkeiten für diverse Rundfunkanstalten (unter anderem: British Forces Broadcasting Service, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, Studio Hamburg, TransTel und WDR)
- 1974-Ende 1980er-Jahre Kommentator der weltweit ausgestrahlten TransTel-Fußball-Bundesliga-Highlight-Show “Football Made in Germany” (Sendungstitel in den USA “Soccer Made in Germany”)
- 1978-1982 Rugby-Trainer des ASV Köln
- Ca. 1978-1984 Englischer Fußball-Korrespondent in der WDR-Radiosendung „Sport und Musik“ (mit Kurt Brumme)
- 1982 Aufstieg in die Rugby-Bundesliga
- Seit 2018 Mitglied des RSV Köln e. V.
“Toby” Charles über …
„Sport spielte eine große Rolle – aber wie gesagt, wir hatten ja auch nichts anderes. Keine Handys, keine Gameboys, all diese Sachen gab es nicht, und wir wussten auch gar nichts davon. Im Nachhinein bin ich froh darüber, dass wir das nicht hatten, denn entweder man ging in einen Verein oder man lungerte eben zu Hause herum. Ich war sehr froh, dass es den Sport gab – und ich war immer sportbegeistert.
Ich konnte gut laufen, besonders nachdem ich meine Asthma-Zeit hinter mir hatte. In der Schule haben wir Fußball gespielt – und auch andere Sportarten, aber hauptsächlich Fußball und Cricket. In der Grundschule hatten wir keinen Cricketplatz, aber als ich dann aufs Gymnasium kam – ein richtiges walisisches Gymnasium – da war Fußball verpönt. Rugby war der Sport in Wales, und man musste Rugby spielen. Also habe ich das natürlich auch gemacht – und das war mir, ehrlich gesagt, lieber als Fußball, weil ich meine Schnelligkeit im Rugby besser ausleben konnte.
Mein älterer Bruder, der mich immer Toby nannte, war ein sehr guter Boxer. Er war einen Kopf kleiner als ich, aber schon sehr breit. Er wurde als Amateur Halb-Schwergewichtsmeister. Dann kam der Krieg – nicht nur für ihn, sondern für alle – und der Sport wurde immer weniger. Er hat sich dann quasi durch den Dschungel geboxt, in Burma.
In meiner Familie war es sonst eigentlich nicht besonders sportlich. Ich glaube, mein Vater hat ein bisschen Rugby gespielt, als er jung war, aber er war schon 47 Jahre alt, als ich geboren wurde. Und ich bin einen Tag vor dem 40. Geburtstag meiner Mutter zur Welt gekommen. Ich habe meinen Vater also nie beim Sport erlebt – ich war zu jung, und er war schon zu alt.
Ich war gerne in Mannschaftssportarten aktiv, besonders mit anderen Kindern zusammen – ein bisschen Jux und Tollerei, einfach Spaß. Das ist das Schöne am Sport. Und ich finde, Sport muss Spaß machen.
Mit 16 bin ich zu meinem ersten Rugby-Länderspiel nach Cardiff gefahren: Wales gegen Neuseeland, 1953. Das war das letzte Mal, dass Wales Neuseeland geschlagen hat – und ich kann sagen: ‚Ich war da.‘ Ich weiß noch genau, wie die Atmosphäre war – das war sehr schön.
In Usk hatten wir auch eine Cricketmannschaft, und ich habe auch für die Glamorgan Nomads gespielt – das ist die zweite Mannschaft von Glamorgan. Wir hatten gute Zuschauer, natürlich kein Vergleich zum Rugby mit 30.000 oder 40.000 Leuten. Aber beim Cricket waren es oft über tausend – für eine Kleinstadt war das schon viel.
Ich war später am College in Exeter. Mit 18 bin ich von der Schule gegangen, habe dann ein Jahr lang gearbeitet und bin danach nach St. Luke’s – das war besonders für Rugby bekannt. Der Direktor des Sportcolleges hieß Jimmy Smeal, ein herrlicher Typ. Als ich zum Interview kam, um zu erfahren, ob ich angenommen werde oder nicht, hat er mich überhaupt nicht nach meinen Noten gefragt. Er fragte nur: ‚Bei wem haben Sie gespielt?‘ Er wollte St. Luke’s zu einem echten Sportcollege machen – das war auch der Hauptgrund, warum ich dorthin wollte. Und als ich ihm sagte, wo ich gespielt hatte, sagte er: ‚Okay, Sie sind dabei.‘ Ich hätte eine Niete in allen anderen Fächern sein können – Hauptsache, Sport war gut.“
„Ganz allgemein, im Vergleich zu England, habe ich bemerkt, was in Deutschland los war. Alle Leute wollten anpacken. ‘Wir schaffen das!’ – ‘Wir tun das!’ Wenn ich das mit heute vergleichen darf, merke ich einen riesigen Unterschied. Damals hatten alle genug Arbeit, es gab genug zu tun – und die wollten auch arbeiten. Das war die Sache: Es war egal, was für ein Job – Hauptsache, man konnte etwas machen, etwas aufbauen. Richtig anpacken. Alle wollten das!
Ich nehme an, in England, in Großbritannien, war es ähnlich. Aber natürlich war Großbritannien bei Weitem nicht so stark zerstört wie Deutschland – wie die Großstädte Köln, Hamburg oder Dresden.
Damals, Anfang der 60er-Jahre, als ich hier meine Anfangszeit hatte, habe ich einen Taxifahrer gefragt: ‘Können Sie mich zum Opernhaus fahren?’ Und er sagte: ‘Zum alten oder zum neuen?’ Ich wusste gar nicht, dass es zwei gab. ‘Ja, die gibt es. Das Alte ist zerstört worden.’ – ‘Dann muss es wohl das Neue sein.’ So etwas zum Beispiel. Ich glaube, das Opernhaus war damals am Rudolfplatz, wenn ich mich richtig erinnere.
Aber um auf das Thema zurückzukommen: Die Deutschen waren damals alle so: ‘Was willst du mitmachen?’ – ‘Wir tun das!’ – ‘Wir schaffen es!’ Keiner hat irgendwo in der Ecke herumgelungert und geschlafen. Man hat etwas getan – und man wollte es auch. Und man konnte die positiven Effekte davon auch sehen.“
„Mit Kevin Keegan habe ich gequatscht, das Interview war eine halbe Stunde lang. Und wir haben drei verschiedene Themen behandelt: die Bundesliga, dann – das war kurz vor der Europameisterschaft 1980 in Italien – und schließlich alles über englischen Fußball. Und der hatte alle Zeit der Welt. Dann erzählte er auch, wie es ihm gefällt in Deutschland, besonders in Hamburg. Ich glaube aber, seiner Frau ging es damals nicht so gut in Hamburg, und wie wunderbar er dort behandelt worden ist. Und der war wirklich ein super Typ.
Auch ein super Typ war Björn Borg, der war so nett. Ich habe viele nette Sportler interviewt, die mir immer entgegengekommen sind, zum Beispiel auch Tony Woodcock. Mein erstes Interview mit einem Fußballer war übrigens Karl-Heinz Thielen. Er kam ins Studio in die Bruderstraße in Köln. Das muss 1963 gewesen sein. Ich weiß noch, der kam mit einem Porsche und dem Nummernschild K-H-T.
Ich habe in den letzten 15 Jahren drei verschiedene Krebskrankheiten gehabt, aber alle überstanden. Das ist für mich dank Deutschland. Die Behandlung hier – oder in Köln jetzt besonders. Ich befürchte, wenn ich zum Beispiel in Großbritannien leben würde, dann wäre ich tot. Ich hätte nicht diese Behandlung bekommen, die ich hier bekommen habe. Und ich bin auch Köln und Deutschland sehr dankbar, dass ich das alles konnte. Dass ich dieses wunderschöne Leben gehabt habe und so viele Menschen getroffen habe – so viele nette Menschen auch. Man trifft auch ein paar Idioten, aber das tut man im Leben sowieso.
Ich weiß noch, zum Beispiel vom WDR – die Leute, wir haben uns oft einfach unter der Woche getroffen. Direkt gegenüber vom Eingang des WDR ist eine kleine Kneipe. Ich weiß gar nicht mehr, wie die heißt, aber wir haben uns oft da getroffen und einfach ein bisschen gequatscht und erzählt und ein Kölsch getrunken. Und da war diese Art von Zusammensein, das war der Zusammenhalt. Und das war richtig schön da. Ich muss sagen, es war eine wunderbare Geschichte.
Wen ich sehr gut kenne, ist Heribert Faßbender, als er noch Reporter war für den Hörfunk. Wir sind zusammen geflogen mit Köln, als die im Europapokal gegen Liverpool gespielt haben. Es war 1964/65, so um den Dreh. Ich weiß noch, dass es in Köln 0:0 war. Und dann war das Rückspiel in Liverpool – und es hat geschneit. Eine halbe Stunde vorher fing es an der Anfield Road in Liverpool an zu schneien wie bekloppt. Und damals gab es keine Unterbodenheizung. Die konnten die Linien nicht mehr sehen. Und der Schiedsrichter hat das Spiel abgeblasen.
Ich weiß noch: Ich, Heribert Faßbender, Karl-Heinz Thielen und Wolfgang Overath – wir sind damals alle in den Cavern Club in Liverpool gegangen. Das war auch unheimlich lustig und sehr nett. Damals konnte man so zusammenkommen. Heute wäre das unmöglich – ohne Agenten und Bodyguards.“
„Die Berichterstattung hat natürlich unheimlich viel mit Sprache zu tun. Die englische Sprache ist irgendwie lockerer und flexibler als Deutsch. Ich hätte nie ein Spiel auf Deutsch kommentieren können – unmöglich. Das habe ich auch gar nicht versucht. Aber weil ich mich so für Sport interessiert habe, und dann auch für Fußball – ich kannte die Regeln, meistens jedenfalls – dann ging das. Ich konnte gut reden, und das war ein Vorteil, den ich hatte. Ich konnte Sachen gut schildern.
Und was ich auch gelernt habe, war: nicht zu viel zu quatschen. Lass das Spiel sprechen. Lass die Leute sich auf das Spiel konzentrieren. Nur wenn es wichtig ist, dann sollte man etwas dazu sagen. Das habe ich auch gelernt. Ich habe das Gefühl, manchmal wird beim Fußballkommentieren immer noch zu viel geredet. Die Reporter wollen zeigen, was für ein Wissen sie haben und wie klug sie sind, und so weiter. Das war nie der Fall bei mir, weil mein Wissen gar nicht so riesig war.
Einen methodischen Austausch mit deutschen Kollegen gab es nicht. Ich wüsste auch nicht, warum. Die haben mich sehr wahrscheinlich nie gehört, weil die Kommentierung der Bundesliga nur im Ausland zu hören war. Es kann sein, dass viele von denen – oder die meisten – meine Stimme nie gehört haben.
Ich kriege immer noch Post aus den USA, von ehemaligen Fans vom Fußball. Ich habe noch viele Briefe, auch Zeitungsausschnitte von damals, von der Bundesliga und aus den USA. Ich war viel in der Zeitung in den USA. Aber in Deutschland war ich nur in der Zeitung nach der Kurt-Brumme-Affäre.“
„Wir haben damals ein Spiel gemacht mit den Alten gegen die jetzige Mannschaft. Das war, glaube ich, 1978. Das war auf der Vorwiese in Köln. Ich glaube sogar, dass die Alten gewonnen haben. Wir waren auch zusammen mit Hürth – die Hürther waren auch dabei.
Einer von den Spielern ist hinterher zu mir gekommen und hat gesagt: ‘Hör mal, wir brauchen einen Trainer. Hast du Lust?’ Ich habe gesagt: ‘Oh, ich weiß nicht.’ Es war ehrenamtlich. Aber dann habe ich mit meiner Frau – wir waren noch nicht verheiratet, aber wir haben schon zusammengelebt – darüber gesprochen. Sie sagte: ‘Ja, wenn es dir Spaß macht.’ Ich sagte: ‘Ja, ich glaube, es wird mir Spaß machen, wieder so was zu machen.’
Ich habe denen gesagt, dass ich bereit bin, das zu übernehmen – aber nur unter der Bedingung, dass die alles tun, was ich sage, und sie müssen schwitzen. Weil auf dieser Rugbyebene war es so: Wenn man fitter ist als der Gegner, dann gewinnt man.
Wir haben am Anfang nur Fitnesstraining gemacht. Sind gelaufen. Wir sind auf die Jahnwiese gegangen, da sind diese Treppen. Sie sind da hochgelaufen. Manchmal mussten die das mit einem auf den Schultern machen, um die Beine zu stärken. Das haben wir gemacht. Dann sind wir durch den Wald da gelaufen, da waren auch ein paar Berge.
Ende 1982 haben meine Frau und ich geheiratet. Und dann habe ich gesagt: ‘Jetzt kann ich es nicht mehr.’ Da wurden auch die Fußballreportagen intensiver, auch die Kommentierungen wurden intensiver. Also sagte ich: ‘Nee, tut mir leid, Jungs. Es wird Zeit zu gehen.’ Und dann kam ein neuer Trainer.“